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Die Granthis der Seele loslösen: Meine moderne Sicht auf die Katha Upanishad

von: Erika Smith Iluszko

Die Katha Upanishad, eine der tiefgründigsten und poetischsten Schriften der indischen philosophischen Tradition, erzählt die Geschichte eines kleinen Jungen, Nachiketa, der es wagt, Yama, dem Gott des Todes, die entscheidenden Fragen zu stellen: Was geschieht nach dem Tod? Was ist das Selbst? Wie können wir uns aus dem Kreislauf von Geburt und Wiedergeburt befreien?

In diesem uralten Dialog liegt eine tiefe Reflexion über den Zustand des Menschen – warum wir in diese Körper geboren werden, warum wir leiden und wie Befreiung möglich ist. Im Mittelpunkt dieser Lehre steht das Konzept der drei Knoten (granthis), die die Seele an den Kreislauf von Samsara (Geburt, Tod und Wiedergeburt) binden: Avidya (Unwissenheit), Kama (Begehren) und Karma (Handeln).

Die drei Knoten, die uns binden: Avidya, Kama und Karma – und der Weg zur Befreiung
1. Avidya – Ignoranz

Avidya ist nicht ein Mangel an intellektuellem Wissen, sondern eine falsche Wahrnehmung der Realität. Es ist die Illusion, dass wir nur dieser Körper und dieser Geist sind, getrennt von anderen und definiert durch Status, Besitz oder Identität. Avidya verschleiert das wahre Selbst – den ewigen, unveränderlichen Atman -, von dem es in der Katha Upanishad heißt, er sei „kleiner als der Kleinste und größer als der Größte“ und wohne im geheimen Herzen aller Wesen.

Ohne Bewusstsein des Selbst jagen wir flüchtigen Vergnügungen hinterher und fürchten den Tod – so zieht sich der Knoten von Avidya zusammen und führt uns zum nächsten Knoten.

2. Kama – Verlangen

Begehren entsteht, wenn wir vergessen, wer wir wirklich sind. Kama ist nicht nur sexuelles Begehren – es umfasst jede Sehnsucht nach äußerer Erfüllung: Liebe, Macht, Anerkennung, Komfort. In Maßen motiviert das Verlangen das Leben. Aber wenn das Verlangen zum Zwang wird, schafft es Abhängigkeit und Enttäuschung.

Die Katha Upanishad stellt Preya (was angenehm ist) und Shreya (was nützlich ist) gegenüber. Die meisten Menschen wählen Preya – kurzfristiges Vergnügen – gegenüber langfristiger Wahrheit. Auf diese Weise vertiefen wir den Kreislauf von Begierde und Unzufriedenheit.

3. Karma – Handlung und ihre Folgen

Wenn der Wunsch unsere Handlungen antreibt, erzeugen wir Karma – das Netz aus Ursache und Wirkung. Karma hält uns an das Rad der Wiedergeburt gebunden, wir erfahren die Früchte vergangener Handlungen und säen die Samen für zukünftige. Solange die Handlungen von Unwissenheit und Verlangen angetrieben werden, setzt sich der Kreislauf fort.

Warum werden wir in diesen Körper hineingeboren?

Aus der Perspektive der Katha Upanishad werden wir nicht zur Strafe geboren, sondern als Chance: um uns zu entwickeln, um Erfahrungen zu machen und uns schließlich an unser wahres Selbst zu erinnern. Doch wenn wir in Avidya, Kama und Karma verstrickt bleiben, schlafen wir im Traum der Trennung.

Diese Geburt ist nicht zufällig – sie wird durch Karma geformt und durch Verlangen angeheizt. Aber die Wurzel von allem ist Avidya. Wie ein Baum, der von einer unterirdischen Quelle gespeist wird, beziehen Kama und Karma ihre Energie aus Avidy (Unwissenheit).

Deshalb ist Avidya das schwächste Glied – und dasjenige, dem wir am ehesten entgegenwirken können.

Avidya bekämpfen: Der Weg zur Befreiung

Die Katha Upanishad sagt: „Steh auf, wach auf! Suche die Großen und lerne.“ Sie ruft uns auf, aus dem unbewussten Leben aufzuwachen und jnana (wahres Wissen) zu verfolgen. Avidya zu bekämpfen bedeutet nicht, Fakten zu sammeln – es bedeutet, klar zu sehen. Es bedeutet:

Sich nach innen wenden durch Meditation und Reflexion.

Die Unterscheidung zwischen dem Selbst und dem Nicht-Selbst.

Bewusst leben, sich bewusst machen, wie unsere Wünsche und Entscheidungen geprägt sind.

Auf der Suche nach LehrerInnen und Gemeinschaften sein, die von Weisheit und Authentizität leben.

Sobald Avidya geschwächt ist, treiben uns die Wünsche nicht mehr blindlings an, und das Karma bindet uns nicht mehr. Befreiung (Moksha) ist nicht etwas Entferntes – es ist eine Verschiebung der Wahrnehmung, eine Erkenntnis, dass wir ursprünglich nie getrennt waren.

Moderne Anwendung: Ein achtsames Leben in einer abgelenkten Welt

In einer Welt des endlosen Scrollens, der gezielten Werbung und der kuratierten Identitäten wird Avidya noch verstärkt. Uns wird beigebracht, dass das Glück im nächsten Kauf, Partner oder einer Beförderung liegt. Kama ist nicht nur normalisiert, sondern auch monetarisiert. Und Karma häuft sich in jeder unbewussten Reaktion an.

Aber wir leben auch in einem Zeitalter, in dem wir einen noch nie dagewesenen Zugang zu Weisheit haben. Wir können die alten Texte online lesen, an virtuellen Satsangs teilnehmen und mit einer einfachen App Achtsamkeit üben. Die Aufforderung der Katha Upanishad ist aktueller denn je:

„Das Selbst hat die Öffnungen nach außen durchbrochen; deshalb schaut man nach außen, nicht in sich selbst. Ein weiser Mensch, der die Unsterblichkeit sucht, wendet den Blick nach innen.“

Um dies heute anzuwenden:

Schalte regelmäßig ab. Schaffe dir Freiraum vom ständigen Sog der Begierden.

Hinterfrage deine Beweggründe. Handelst du aus unbewusster Gewohnheit, Angst oder Sehnsucht – oder aus Klarheit?

Betrachte die spirituelle Praxis nicht als Flucht, sondern als Rückkehr zum Realen.

Erinnere dich an das Selbst – dass hinter jeder Erfahrung, jedem Gedanken und jeder Rolle etwas Zeitloses, Unerschütterliches, bereits Ganzes steht.

Der Weg ist jetzt

Die Katha Upanishad verspricht keine einfachen Antworten. Aber sie gibt uns eine Karte: Entwirre die Knoten. Von den dreien ist Avidya – die Ignoranz – das Tor. Wenn wir beginnen, wahrhaftig zu sehen, hören wir auf, zu jagen, und beginnen zu sein.

Lass diese alte Lehre eine moderne Revolution inspirieren – nicht im Außen, sondern im Inneren. Eine Person nach der anderen, die sich daran erinnert, wer sie ist.

Möchtest du anfangen, die Knoten in deinem Leben zu lösen?
Versuch dies: Nimm dir jeden Morgen 10 Minuten Zeit, um in der Stille zu sitzen. Beobachte deine Gedanken. Nimm deine Sehnsüchte wahr. Frage: „Wer erlebt das alles?“ Indem du nur nach innen schaust, beginnst du, den ersten Knoten zu lösen.

Und damit beginnt deine Reise.